Stellungnahme der Grünen Fraktion
zur Abstimmung im Fellbacher Gemeinderat am 08. November 2011
Volksabstimmung über das „Stuttgart 21 -Kündigungsgesetz“ am 27. November 2011 – Erläuterungen zu Ablauf und Konsequenzen, Bekräftigung des Gemeinderatsbeschlusses vom 26.10.2010
Wir rufen die Bevölkerung auf, an der Volksabstimmung teilzunehmen.Nach jahrelanger Desinformation und erfolgreicher Lobbypolitik ist es dank des Regierungswechsels im Land endlich ans Tageslicht gekommen, mit welchen unlauteren Mitteln unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit ein Vertrag durchgeboxt wurde, der der Bahn AG und Immobilienspekulanten Millionengewinne beschert - auf Kosten des Landes, der Stadt und der Region.
Auch Fellbach muss sich über die Kreisumlage mit deutlich über 1,5 Mio. Euro an dem Projekt beteiligen, das unserer Stadt außer schlechteren Regional- und S-Bahnverbindungen nichts bringt.Da die Bürgerinnen und Bürger Fellbachs häufig in Stuttgart arbeiten, einkaufen und ihre Freizeit verbringen, wären sie zuerst durch die jahrzehntelangen Baumaßnahmen im Herzen Stuttgarts betroffen, aber auch nach Fertigstellung hätten sie nichts als Nachteile:
- Die zusätzliche Haltestelle Mittnachstraße
verlängert die Fahrzeit um 2 Minuten. Das klingt vielleicht nach
nicht viel für den Fahrgast, bringt aber das ganze S-Bahn-Netz an
den Rand des Kollaps
(siehe auch: StZ vom 19.09.2011). Integraler Taktfahrplan würde ausgeschlossen, zahlreiche
Umsteigemöglichkeiten in Cannstatt entfielen, eine vielmals
versprochene Taktverdichtung auf der Murr-Schiene könnte nicht
realisiert werden.
- Konflikte zwischen S-Bahn und Fernzügen ließen sich
lt. SMA durch einen Linientausch lösen – S2 und S3
würden nur noch bis Schwabstraße fahren. Das führt
dazu, dass wir keine Direktverbindung zum Flughafen, zur Messe und zur
Uni mehr hätten. Stattdessen wird mit einer schnellen
ICE-Verbindung geworben – alle zwei Stunden, mit Umsteigen im
Hauptbahnhof und nicht mit VVS-Ticket nutzbar.
- Bei der immer wieder eintretenden Sperrung des Tunnels (Stammstrecke), kann man im Notfallkonzeptder DB Netze ab Hauptbahnhof nicht mehr wie heute die Gäubahn weiter Richtung Herrenberg nutzen. Für Daimler-Angestellte, die z.B. nach Sindelfingen fahren, würde das mehrfaches Umsteigen in Cannstatt, Mittnachstraße, Feuerbach und Vaihingen, oder einen langen Umweg über Flughafen und Vaihingen bedeuten.
Konkret:
- Noch am 20.10.2010 sprach Prof. Sommer bei den Fellbacher Stadtgesprächen davon, S21 könnte 50 statt jetzt 25 Züge abfertigen. Noch heute wird auf der Homepage von Drees & Sommer eine doppelte Kapazität behauptet. Der sogenannte Stresstest bescheinigt maximal 49 Züge bei vielfacher Doppelbelegung der Gleise und extrem kurzen Haltezeiten. Das sind gerade mal 33% mehr als im heutigen Fahrplan, und es ist weniger, als der Kopfbahnhof schon vor 40 Jahren im Alltag abgefertigt hat.
- Die „Magistrale“ war, wie Volker Kefer zu Beginn des Faktenchecks zugeben musste, „für den Personenverkehr nicht relevant“ (StN 12:42 Uhr im Ticker)
- Das Gutachten der SMA
vom November 2010 bescheinigt, dass S21 minimale
Fahrzeitverkürzungen (im Schnitt eine halbe Minute) , das
Alternativkonzept K21, das von den S21-Befürwortern abwertend als
„Phantom“ bezeichnet wird, bewirkt nach der gleichen Studie
durchschnittliche Fahrzeitverkürzungen von Anderthalb Minuten
– also drei Mal so viel wie S21, zu einem Bruchteil der Kosten.
Diese SMA-Studie wurde von der CDU-Regierung verschwiegen, kann aber
jetzt auf der Homepage des Verkehrsministeriums eingesehen werden. (StZ am 15.10.2011)
(Anm. des Webmasters: die Angabe der Zeitung "90 Sekunden" ist ein Fehler, die Studie gibt 0,9 Minuten an. Es ist immer noch fast doppelt so viel wie die 30 Sekunden bei S21) - Die Betreiber des Projekts versprachen anfangs 24.000, danach noch 17.000 Arbeitsplätze. Noch heute steht auf der Homepage der Stadt Stuttgart die Zahl 20.000. Dagegen rechnet das IMU-Institut mit etwa 2500 Stellen. (BILD, Die Zeit)
- Ausstiegskosten nach dem Gutachten des Wirtschaftsprüfers „Märkische Revision“ betrügen, vorsichtig gerechnet, etwa 350 Mio. Euro, also einen Bruchteil der zur Verunsicherung der Wähler lancierten Horrorzahlen. (StN vom 03.11.2011, StZ vom 26.10.2011 , CDU-Flyer)
Und wenn es stimmt, was der aktuelle Spiegel über das Verschweigen der Kostenexplosion durch Oettinger berichtet, dann ist auch die demokratische Legitimierung eine Farce.
Im Projekt werden internationale Gesetze, Feuerschutzbestimmungen und die Forderung nach Barrierefreiheit missachtet oder mit Sondergenehmigungen umgangen.
Konkret:
- Lt. Gesetz (EBO, sowie "Technische Spezifikation Infrastruktur" (TSI) vom März 2008) ist ein max. Gefälle von 0,25% in Fernbahnhöfen zulässig. Die Sondergenehmigung des EBA verstößt gegen EU-Recht. (StZ vom 30.10.2011)
- Die Kritik der Branddirektion Stuttgart am Konzept der „Trockenen Löschwasserleitungen“ ist nicht neu – beim sogenannten Schlichterspruch ist unter Punkt 5 vereinbart worden: „Die bisher vorgesehenen Maßnahmen im Bahnhof und in den Tunnels zum Brandschutz und zur Entrauchung müssen verbessert werden. Die Vorschläge der Stuttgarter Feuerwehr werden berücksichtigt.“ Diese eigentlich selbstverständliche Forderung ist bis heute von der Bahn nicht erfüllt. (StN vom 18.20.2011)
- Eine andere Forderung, die vom Gesetz (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG §8) vorgeschrieben ist und eine Selbstverständlichkeit darstellt, nämlich nach barrierefreien Fluchtwegen (Geißler-Spruch, Punkt 4) wird ebenfalls ignoriert. Technikvorstand der Bahn Volker Kefer schreibt dazu:
„Wir gehen davon aus, dass Mitreisende, sowie Mitarbeiter der Deutschen Bahn und gegebenenfalls anwesende Sicherheitskräfte die Evakuierung von Menschen mit Gehbehinderungen im Rahmen der Hilfeleistungspflicht schon in der Selbstrettungsphase unterstützen“ (Auch: CZ vom 17.07.2011)
Genauso wie im Falle des EnBW-Deals, bei dem die CDU-FDP-Regierung Rechtsbruch begangen hat (Zeit vom 06.10.2011), bei dem das Land Baden-Württemberg Milliardenverluste erlitt, die Bank Morgan Stanley, deren Deutschlandchef Mappus’ Jugendfreund Notheis (Spiegel vom 10.12.2010) ist, aber 13 bis 15 Millionen Euro verdiente, so wurde auch im Falle S21 ohne Rücksicht auf die Interessen der Bahnreisenden unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Vertrag eingefädelt, der einigen wenigen befreundeten Firmen lukrative Aufträge beschert:
- 2008 sagte der damalige PM Oettinger in einer Regierungserklärung, Herrenknecht werde S21 bauen – ohne dass es eine Ausschreibung gegeben hätte. (Handelsblatt vom 12.10.2010). S21-Verfechter und Aufsichtsratsvorsitzender der Herrenknecht AG ist der frühere PM Lothar Späth (ebenda). Im Jahre 2009 hat Martin Herrenknecht der CDU 70.000 Euro gespendet (Rechenschaftsbericht 2009), sowie 30.000 an die SPD, die sich ebenfalls für S21 einsetzt.
- Ein Konsortium aus ECE und anderen will für eine halbe Milliarde Euro das Quartier am Mailänder Platz bebauen. Die ECE gründete eine Stiftung „Lebendige Stadt“, in deren Vorstand Friederike Beyer, die Lebensgefährtin von Günther Oettinger sitzt. Im Stiftungsrat mit dabei: Tanja Gönner, damalige Umwelt- und Verkehrsministerin, sowie Christoph Ingenhoven, S21-Architekt. (Handelsblatt vom 12.10.2010)
- Den Zuschlag für die erste Baumaßnahme an S21 – Abriss des Nordflügels – bekam die Firma Wolff & Müller. Mit dabei im Beirat: Finanzbürgermeister Michael Föll. Nach Auffliegen dieses Skandals legt Föll seine Beratertätigkeit nieder. (StN vom 09.08.2010) Die Unterauftragnehmer von Wolff & Müller haben auf der Baustelle Illegale beschäftigt: Von 11 kontrollierten Arbeitern stellten die Zollbehörden bei 9 Unregelmäßigkeiten fest. (StZ vom 17.08.2010)
Wir Grüne sind für einen Ausbau des Bahnverkehrs, deswegen sind wir gegen diese grandiose Fehlplanung. S21 schadet Baden-Württemberg. S21 schadet der Region und Fellbach. Und deswegen werden wir, Grüne, für den Ausstieg stimmen.